Das Kaltdehnen ist ein einfaches Verfahren, mit dem sich zwei Werkstücke verbinden lassen. Es basiert auf dem physikalischen Gesetz, dass Metalle bei sinkenden Temperaturen schrumpfen. Erwärmen sich die Bauteile, dehnen sie sich wieder aus. Sie sitzen perfekt an Ort und Stelle und nehmen keinen Schaden. Die niedrigen Temperaturen lassen sich dabei mit tiefkalt verflüssigtem Stickstoff erzeugen. Gasido.de informiert über das Schrumpfen mit flüssigem Stickstoff. Wir zeigen, wann das Verfahren infrage kommt, welche Vorteile es bietet und was Nutzer bei der Planung beachten müssen.
Die Themen im Überblick
Kaltschrumpfen mit flüssigem Stickstoff: Der Ablauf
Um optimale Passungen herzustellen, kommen heute verschiedene Verfahren zum Einsatz. Eine Möglichkeit ist es, das äußere Werkstück allmählich zu erwärmen. Es dehnt sich vorübergehend aus und beide Komponenten lassen sich problemlos verbinden. Nachteilig ist allerdings, dass die Wärmeverteilung beim Erhitzen oft ungleichmäßig ist. Es entstehen Spannungen oder sogar Risse und die Werkstücke bekommen häufig Anlauffarben. Das Schrumpfen oder Kaltdehnen mit flüssigem Stickstoff stellt hier eine Alternative dar. Das Grundprinzip: Verarbeiter kühlen das innere Bauteil, sodass sich sein Volumen verringert. Die Werkstücke lassen sich Verbinden und sitzen perfekt ineinander, nachdem sich das innere beim Erwärmen wieder ausgedehnt hat. Aber wie funktioniert das Verfahren im Detail? Wir erklären dem Ablauf am Beispiel einer Welle.
Schritt 1: Welle Kaltschrumpfen mit Stickstoff
Geht es darum, Naben und Wellen miteinander zu verbinden, sind Letztere zu schrumpfen. Dazu tauchen Verarbeiter das Bauteil in ein Bad aus flüssigem Stickstoff ein. Dieser hat eine Temperatur von unter – 196 Grad Celsius. Er entzieht dem Werkstück viel Wärme und sorgt dafür, dass sich dessen Volumen verringert. Wie stark die Schrumpfung ausfällt oder wie lange das Verfahren anzuwenden ist, hängt dabei grundsätzlich vom Material und dessen Durchmesser ab.
Bei sehr großen Werkstücken reichen die üblichen Dewargefäße nicht mehr aus. In diesen Fällen ist es möglich, vor Ort ausreichend groß dimensionierte Kühlboxen herzustellen. Alternativ dazu lassen sich die Werkstücke mit Kaltgas herunterkühlen. Das Medium zirkuliert dabei in einer eigens installierten Vorrichtung, um den Werkstücken viel Wärme zu entziehen.
Parallel zum Kaltdehnen mit flüssigem Stickstoff ist es möglich, Naben oder andere Bauteile mit Hitze zu erwärmen. Die Werkstücke dehnen sich vorübergehend aus und es entsteht eine größere Differenz der Durchmesser.
Schritt 2: Welle und Nabe passgenau verbinden
Nachdem Kaltschrumpfen lassen sich die Wellen aus dem Stickstoffbad ziehen. Sie verfügen nun über einen geringeren Durchmesser, sodass sie sich in die Nabe einführen lassen. Das geringe Spiel erlaubt es, beide Bauteile in die richtige Position zueinander zu bringen.
Damit das Verfahren problemlos funktioniert, müssen Nutzer das Kaltdehnen berechnen. Sie ermitteln dabei, wie Stark die Schrumpfung sein muss, wie viel flüssiger Stickstoff dazu erforderlich ist und wie lange der Schrumpfvorgang anhalten muss.
Schritt 3: Optimale Passung durch Ausdehnung
In der richtigen Position erwärmt sich die Welle allmählich. Sie nimmt Energie aus der Umgebung auf und dehnt sich Schritt für Schritt aus. Dabei entsteht eine passgenaue und sichere Verbindung zwischen Welle und Nabe. Da bei dem Verfahren keine zusätzliche Wärme zum Einsatz kommt, entstehen keine Änderungen im Gefüge. Risse bleiben aus und die Qualität der Werkstoffe ist sehr hoch.
Vorteile und Einsatzbereiche im Überblick
Im Vergleich zu anderen Fügeverfahren hat das Schrumpfen mit flüssigem Stickstoff eine Reihe von Vorteilen. So handelt es sich dabei grundsätzlich um ein günstiges und dadurch auch wirtschaftliches Verfahren. Die Handhabung ist einfach und es entsteht eine sehr hohe Festigkeit. Während die Arbeitskosten vergleichsweise gering sind, erfahren die zu schrumpfenden Werkstücke nahezu keine Gefügeveränderungen. Sie verziehen sich nicht, laufen nicht an und behalten eine hohe Qualität bei. Die folgende Liste zeigt die wichtigsten Vorteile im Überblick:
Die Vorteile
niedrige Investitions-, Arbeits- und Energiekosten
Verfahren ist einfach und nahezu überall anwendbar
Verbindungen sind passgenau und besonders fest
keine Qualitätsverluste der zu bearbeitenden Werkstücke
Ein weiterer Vorteil: Bei Bedarf lässt sich das Kaltschrumpfen mit einer Wärmebehandlung (zum Beispiel einer Nabe) kombinieren. Infrage kommt das zum Beispiel bei sehr großen Werkstücken.
Einsatzbereiche für das Kaltschrumpfen mit Stickstoff
Die Einsatzbereiche und Anwendungsgebiete sind vielschichtig. So kommt das Kaltdehnen mit Flüssiggasstickstoff unter anderem bei Wellen, Kugellagern, Buchsen oder Bolzen infrage. Die entstehenden Verbindungen sind sehr fest und ermöglichen es dadurch, ein hohes Drehmoment zu übertragen. Zum Einsatz kommen die Verfahren dabei unter anderem in der Einzel- oder der Serienfertigung von Bauteilen. Aber auch für Reparaturarbeiten ist es geeignet.
Eigenes Equipment oder beauftragte Dienstleistung
Wer regelmäßig und häufig auf das Schrumpfen mit flüssigem Stickstoff setzt, kann eigenes Equipment anschaffen. Kommt das Verfahren hingegen nur sehr selten zum Einsatz, lohnt sich das für Unternehmen oft nicht. In diesem Fall haben sie aber die Möglichkeit, Fachexperten mit der Dienstleistung zu beauftragen. Diese bringen das benötigte Equipment mit und Schrumpfen die Metalle vor Ort.
Kaltdehnen: Berechnung des Verfahrens
Wie viel Stickstoff Anwender benötigen und wie lange der Schrumpfvorgang andauern sollte, hängt von den Materialeigenschaften ab. Ausschlaggebend ist dabei unter anderem der spezifische Ausdehnungskoeffizient des zu schrumpfenden Materials. Je höher dieser ist, umso schneller lässt sich das Volumen eines Werkstücks reduzieren. Im Umkehrschluss dauert das Schrumpfen länger, je niedriger der Ausdehnungskoeffizient der Werkstücke ist. Denn das heißt, dass sich das Volumen bei gleicher Temperaturdifferenz weniger stark verringert. Entscheidend ist außerdem die maximale Schrumpfung. Die folgende Tabelle zeigt, wie hoch diese bei verschiedenen Werkstoffen ist.
Werkstoff | Maximale Schrumpfung (µm/mm) |
---|---|
Grauguss, Temperguss | 1,5 |
Hitzebeständiger Stahl (Bsp.: X 10 CrAl; G-X 45 CrSi 13) | 1,6 |
Kohlenstoffstahl; S235; S460;Stahlguss; Kaltzäher Stahl unlegiert; P 215 NL | 1,8 |
Warmfester Stahl (Bsp.: 10 CrMo 9 10) | 1,9 |
Kaltzäher Stahl legiert (Bsp.:X12 CrNi 18 9; X 10 CrNiTi 18 10) | 2,2 |
Kupfer unlegiert | 2,8 |
Messing | 3 |
Aluminium | 3,5 |
Die richtige Stickstoffmenge berechnen
Tiefkalt verflüssigter Stickstoff enthält eine gewisse Energiemenge, um Werkstücke abzukühlen. Abhängig von den Eigenschaften Letzterer ist daher mehr oder weniger Flüssigstickstoff erforderlich. Die genaue Menge lässt sich dabei mithilfe der spezifischen Wärmekapazität, der Masse und der gewünschten Temperaturänderung des Werkstücks berechnen. Die Wärmespeicherfähigkeit ist dabei stoffabhängig, wie die folgende Tabelle zeigt.
Werkstoff | Spezifische Wärmespeicherfähigkeit |
---|---|
CrNi-Stahl | 0,45 kJ/(kg*K) |
Aluminium | 0,92 kJ/(kg*K) |
Kupfer | 0,39 kJ/(kg*K) |
Während die Masse vom Werkstück abhängt, richtet sich die Temperaturdifferenz nach dem Ausdehnungskoeffizienten und der benötigten Schrumpfung des Materials. Liegen alle Werte vor, lässt sich die Stickstoffmenge nach folgender Gleichung berechnen:
- Stickstoffmenge zum Kaltschrumpfen [in kg] = (spezifische Wärmekapazität des Bauteils [in kJ/kgK] * Masse des Bauteils [in kg] * Temperaturdifferenz des Bauteils beim Kaltdehnen [in K]) / verfügbare Kälte des Flüssigstickstoffs [in kJ/kg]
Üblicherweise ergibt sich eine Masse von 0,6 bis 0,8 Kilogramm Flüssigstickstoff pro Kilogramm Stahl. Hinzu kommt die erforderliche Stickstoffmenge, um den Behälter zu füllen.
Die optimale Dauer der Kaltdehnung eines Werkstücks
Wie lange das Schrumpfen mit flüssigem Stickstoff andauert, hängt vom Material und seiner Stärke ab. Stahl mit einer Wanddicke oder einem Durchmesser von 50 Millimetern ist dabei etwa 5 Minuten lang einzutauchen. Bei einer Wandstärke oder einem Durchmesser von 500 Millimetern sind es bereits 80 Minuten.
Tiefkalt verflüssigter Stickstoff zum Kühlen
Bei Flüssigstickstoff (auch LN2 oder LIN für Liquid Nitrogen) handelt es sich um ein Gas, das bei Temperaturen von -196 Grad Celsius in den flüssigen Aggregatzustand übergeht. Es kommt in vielen technischen Bereichen zum Einsatz und lässt sich aus der Luft gewinnen. Da es in dieser zu etwa 78 Vol.-% vorhanden ist, gilt die Versorgung als sicher, was sich letztlich auch im Preis widerspiegelt. Die folgende Tabelle zeigt die wichtigsten Eigenschaften des Mediums im Überblick.
Kriterium | Eigenschaft von Flüssigstickstoff |
---|---|
Name, Element, Kurzzeichen | Stickstoff, N, LIN/LIN2 (Liquid Nitrogen) |
Vorkommen | u.a. zu 78 Vol.-Prozent in der Luft |
Gewinnung Flüssigstickstoff | fraktionierte Destillation flüssiger Luft |
Siedepunkt | – 196 °C |
Schmelzpunkt | – 210 °C |
Verdampfungswärme | 5,58 kJ/mol |
Volumenverhältnis (gasförmig/flüssig) | 1 Liter Flüssigkeit > 690 Liter Gas |
Lagerung und Transport in speziellen Tanks
Wer flüssigen Stickstoff kaufen möchte, bekommt das Medium in der Regel in Dewargefäßen oder mobilen Tanks. Bei Ersteren handelt es sich um Behälter unterschiedlicher Größe, die einer Milchkanne ähneln. Sie verfügen über doppelte Edelstahlwandungen und haben eine große Öffnung, sodass sich verschiedenste Werkstücke gut eintauchen und herunterkühlen lassen.
Größere Stickstoffmengen lassen sich in mobilen Tanks ordern. Diese verfügen über eine besonders effiziente Isolierung, um das Erwärmen des Mediums zu verlangsamen. Die Behälter fassen üblicherweise bis zu 400 Liter Flüssigstickstoff und erreichen Haltezeiten von bis zu 150 Tagen. So lange lässt sich der tiefkalt verflüssigte Stickstoff nutzen.
Gastanks zur Versorgung mit verflüssigten Gasen lagern bis zu 80.000 Liter flüssigen Stickstoff. Sie kommen immer dann zum Einsatz, wenn der Bedarf im Unternehmen sehr groß ist. Mit einer entsprechenden Verdampfereinheit lässt sich der Rohstoff für andere Einsatzzwecke auch in der gasförmigen Phase nutzen.